Gibt es künstliche Bakterien?

In der Tat! Im Jahr 2010 wurde das Erbgut eines Bakteriums mit Hilfe eines Computers nachgebaut und in die leere Zelle eines anderen Bakteriums eingebracht. Die leere Zelle nahm so die Identität des Bakteriums an, nach dessen Vorbild das Erbgut künstlich hergestellt wurde.
Genauer gesagt wurde das Erbgut des Bakteriums Mycoplasma mycoides synthetisch rekonstruiert und in eine Einzelzelle eines nahen Verwandten, Mycoplasma capricolum, eingeschleust. Zuvor wurde deren eigenes Erbgut entfernt, womit die Zelle als „leere Hülle“ vorlag. Das eingebrachte, fremde Erbgut sorgte dafür, dass die eigentlichen Mycoplasma capricolum-Zellen in Mycoplasma mycoides-Zellen umgewandelt wurden – die „leere Hülle“ wurde also durch das fremde, künstlich hergestellte Erbgut zu einem anderen Organismus umprogrammiert. Die Weltpremiere dieses künstlich hergestellten Bakteriums „Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0“ gelang dem US-amerikanischen J. Craig Venter Institut.
Allerdings wurde das Erbgut des Bakteriums in diesem Fall fast 1:1 nachgebaut und nicht neu „erschaffen“, es enthielt also keine künstlichen, in der Form nicht existierende Kombinationen an Erbinformationen. Außerdem lieferte die leere Bakterienzelle bereits ein gewisses Set an Proteinen, Fetten und Zuckern. Aus diesem Grund zweifelten zahlreiche Wissenschaftler Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 als „künstliche Lebensform“ an.
Das Ziel weiterer Forschung ist, ein künstliches Bakterium von Grund auf selbst zu programmieren, um es in naher Zukunft für einfache und optimierte Anwendungen (z. B. Wasseraufbereitung oder die Herstellung bestimmter Wertstoffe, s. Abb.) zu verwenden. Das Erbgut eines solchen „Minimalorganismus“ besteht lediglich aus einem Set von Genen, die für das Überleben zwingend notwendig sind. 2016 stellte die Forschergruppe von Craig Venter ein Minimalgenom künstlich her und brachte es in eine leere Bakterienhülle ein. So entstand der erste synthetische, lebensfähige Organismus, Mycoplasma mycoides JCVI-syn3.0. Er besitzt nur 473 Gene, die er für lebenswichtige Prozesse wie Wachstum, Stoffwechsel und Fortpflanzung benötigt – das sind allerdings viel mehr Gene, als zuvor erwartet wurde. Von einem Drittel dieser Gene ist die genaue Funktion unbekannt. Dies zeigt, dass selbst einzellige Organismen wie Bakterien sehr komplex und noch lange nicht komplett verstanden sind.
Bis man ein Bakterium mit einer Reihe von gewünschten Eigenschaften von Grund auf am Computer entwerfen kann, wird noch eine längere Zeit vergehen. Die (Weiter-) Entwicklung synthetischer Lebewesen muss einer einwandfreien Risikoforschung sowie einer seriösen Kontrolle unterliegen, da sich geplante Anwendungen über den gesamten Planeten und viele Generationen auswirken werden.

Zum Weiterlesen:

https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/erster-kuenstlicher-organismus-sie-sollen-tun-was-wir-wollen-a-696057.html

https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/syn-3-0-forscher-schaffen-bakterium-mit-mini-genom-a-1083601.html

https://www.biospektrum.de/blatt/d_bs_pdf&_id=1044409

© Text und Abbildung Carolin Köster / VAAM, carolin.koester[at]ufz.de, Nutzung gemäß CC 4.0