Rot und salzig

Die Mikrobe des Jahres 2017, Halobacterium salinarum, zählt zu den Archaeen – Urformen des Lebens, die zwar Bakterien ähneln, aber tatsächlich enger verwandt mit Pflanzen und Tieren sind. Sie sind häufig an außergewöhnliche Lebensräume angepasst, beispielsweise heiße Quellen, extrem saure Gewässer, Orte ohne Sauerstoff oder – wie H. salinarum – an hohe Salzkonzentrationen. Der Mikroorganismus wächst in Salinen und Salzlaken. Dank spezieller Kanalproteine in der Zellhülle kann H. salinarum seinen Salzgehalt an die äußeren Bedingungen anpassen. Sogar in Salzkristallen überlebt es hunderte von Jahren. Da die Mikroben rote Farbstoffe enthalten, lassen sie Salzseen und Meersalz-Gewinnungsanlagen rot-violett erscheinen. Die Farbstoffe (Karotinoide) von Halobacterium salinarum reichern sich in der Nahrungskette an: kleine Salzkrebse fressen die Mikroorganismen, von denen sich wiederum die Flamingos ernähren, sodass sich ihr Federkleid rosarot färbt.
Flamingo_MDJ2017

Vorläufer unseres Sehsystems

Bacteriorhodopsin aus Halobacterium nimmt Licht auf und verwandelt es in Energie für den Stoffwechsel der Zellen: Die Farbe des Bacteriorhodopsins wechselt dabei von violett zu gelb. Die Farbstoffe in der Zellmembran von Halobacterium salinarum sind nicht nur für die Rotfärbung verantwortlich, sondern auch für eine besondere Art der Photosynthese, die Licht in für die Zelle verwertbare Energie umwandelt. Die Entdeckung des dafür wichtigen Bacteriorhodopsins aus H. salinarum gelang dem Biochemiker Dieter Oesterhelt 1971. Das Faszinierende daran: ein vergleichbares Rhodopsin ist in unserem Auge für den Sehvorgang verantwortlich. Die Evolution der molekularen Grundlage unseres Sehsinns hat vermutlich seine Wurzeln in uralten Mikrobenformen.

Lichtschalter für neue Heilmethoden

Nach der Entdeckung des Bacteriorhodopsins von Halobacterium salinarum hat sich ein ganz eigenständiges Forschungsfeld entwickelt: die Optogenetik. Rhodopsine werden heute als molekulare „Lichtschalter“ eingesetzt, um so das Verhalten von Nervenzellen gezielt zu untersuchen und zu steuern. Erste Erfolge deuten darauf hin, dass neuronale Defekte damit in Zukunft behandelbar sein könnten, beispielsweise Netzhauterkrankungen, Parkinson oder Epilepsie.

Doch Halobacterium salinarum bietet noch weitere Besonderheiten: Es reguliert seine Zelldichte mit Hilfe von Gasvesikeln, die mit Luft gefüllt und von einer wasserdichten Proteinhülle umschlossen sind. Wie ein Taucher kann es so in bestimmten Wassertiefen schweben und geeignete Sauerstoff- und Lichtverhältnisse aufsuchen. In diesen Wasserschichten kann es auch umherschwimmen: Dank eines Antriebs mit langen Fortsätzen (Filamenten) schraubt es sich nach dem Prinzip eines Propellers durch die zähe Salzlösung. Die Archaeen haben dafür einen eigenen molekularen Drehmotor „erfunden“, der auf ein zelleigenes Signal hin die Drehrichtung und damit die Orientierung der Zelle zufällig ändern kann.

Weitere Informationen: