Wie wiegt man ein Bakterium?
Es ist gar nicht so leicht, eine einzelne Bakterienzelle zu wiegen, obwohl es dafür tatsächlich ein sehr genaues Messgerät gibt. Doch um herauszufinden, wie schwer ein Bakterium ungefähr ist, muss man es nicht unbedingt auf eine Waage legen. Für die einfachste und schnellste Schätzung des Gewichts einer Mikrobe genügt es, ihre Größe auszumessen.
Ein typisches Exemplar des Darmbakteriums Escherichia coli (E. coli) hat eine Länge von etwa 2,5 µm und einen Durchmesser von 0,75 µm. Die Enden der stäbchenförmigen Zellen ähneln Halbkugeln und der Körper dazwischen einem Zylinder. Das Zellvolumen lässt sich also ungefähr mit dem einer Kugel und einem Zylinderstück gleichen Durchmessers ermitteln und liefert für unser Beispiel den Wert 1,0 µm3. Mit der spezifischen Dichte einer Zelle gelangt man zu ihrem Gewicht. Angenommen, E. coli besteht nur aus Wasser mit der Dichte 1 g/cm3 (10-12 g/µm3), so erhält man mit 10–12 g (einem millionstel Mikrogramm oder einem Picogramm) bereits eine passable Schätzung. Natürlich erhöhen sich Dichte und Gewicht der Zelle ein wenig durch ihren Gehalt an Proteinen, Zucker, Nukleinsäuren, Lipiden und anderen Molekülen.
Möchte man die Masse einer Zelle genauer kennen, muss man noch ihre spezifische Dichte bestimmen. Eine elegante Methode ist die Dichtegradienten-Zentrifugation. Man lagert die Zellen auf eine Flüssigkeit, die von oben nach unten in kleinen Stufen oder kontinuierlich dichter wird. Dazu eignet sich eine Lösung aus dem Zucker Saccharose mit steigendem Konzentrationsverlauf (oder besser polymere Materialien, die nicht gleichzeitig den osmotischen Druck der Lösung ändern). Lässt man die Zellen nun in einer Zentrifuge bei hoher Umdrehungszahl absinken, so sammeln sie sich in dem Dichtemedium bei der Position, die ihrer eigenen Dichte entspricht, und "schweben" dort. Für E. coli fand man Werte von 1,08 bis 1,10 g/cm3. Unsere Standardzelle hat demnach eine Masse von ungefähr 1,1·10–12 g.
Wie wiegt man Mikroben nun direkt?
Mit einem speziellen Rastersondenmikroskop kann man tatsächlich die reine Biomasse einzelner Zellen direkt bestimmen. Die Messsonde eines Rasterkraftmikroskops besteht aus einer feinen Blattfeder (Cantilever), die sich durch kleinste Kräfte verbiegt. Die Biegung lässt sich mit einem reflektierten Laserstrahl sehr genau verfolgen. Regt man die Feder zum Schwingen an, so stellt sich eine charakteristische Schwingungsfrequenz (Eigenfrequenz) ein, die man mit dem Laserstrahl messen kann. Die Frequenz reagiert sehr empfindlich auf Kräfte, die auf die schwingende Feder einwirken.
Ein kleiner U-förmiger Kanal im Inneren der Feder wird von einem wässrigen Medium durchströmt. Sobald ein Bakterium mit dem Flüssigkeitsstrom in die Feder gelangt, verschiebt sich deren Eigenfrequenz geringfügig. Die Zelle hat eine etwas höhere Dichte als das sie umgebende Medium und ändert die Gesamtmasse und damit die Schwingungeigenschaft der Feder. Aus dem Frequenzunterschied ergibt sich die reine Biomasse des Bakteriums und mit einer Reihe von Messungen die Massen¬verteilung. Deren Form ist nicht genau symmetrisch zum häufigsten Wert und ähnelt jener der Größen- und Volumenverteilung der Mikroben. Danach hat E. coli eine typische Biomasse (ohne Zellwasser) von 0,11·10–12 ± 0,03·10–12 g.
Wiederholt man die Messungen mit Medien unterschiedlicher Dichte, so lässt sich daraus auch die spezifische Dichte der Zellen ermitteln. Für E. coli fand man hier den Wert 1,16 g/cm3.
Belegt man die Blattfeder eines Rastersondenmikroskops mit Proteinen, die an die Oberfläche von Zellen binden, so lassen sich einzele Zellen aus einer Kultur herausgreifen. Das gelingt mit menschlichen Zellen, die wesentlich größer und etwa 2000-mal schwerer sind als E. coli. Mit diesem Verfahren kann man die Zellmasse nun samt des Zellwassers messen und sogar über längere Zeit verfolgen. Dabei beobachtete man erstmals periodische Schwankungen des Zellgewichts.
Mikroben ändern ihre Größe (und damit Masse) während des Wachstums und durch Teilung deutlich. Ihre Dichte variiert bei unterschiedlichen Nährstoffangeboten und mit der Einlagerung von Speicherstoffen. Größen- und Massenunterschiede um den Faktor Zwei oder mehr bei Zellen einer Art sind deshalb nicht ungewöhnlich.
Übrigens unterscheiden sich verschiedene Mikrobenarten in Größe und Masse mitunter ganz erheblich.
Zum Weiterlesen:
http://book.bionumbers.org/what-is-the-density-of-cells/ (25. 7. 2017)
F. C. Neidhardt (1987) Escherichia coli and Salmonella typhimurium. Cellular and
Molecular Biology. Vol. 1, American Society for Microbiology, Washington, S. 3-6
T. P. Burg et al., Weighing of Biomolecules, Single Cells, and Single Nanoparticles in Fluid (2007) Nature 446, 1066-1069
M. Godin et al. (2007) Applied Physics Letters 91, 123121
D. Martinez-Martín et al. (2017) Nature 550, 500-505
© Text und Abbildung Harald Engelhardt / VAAM, engelhar[at]biochem.mpg.de, Nutzung gemäß CC 4.0