Können Bakterien Städte bauen?

Bakterien könnten tatsächlich Strukturen errichten, die sich mit unseren Städten vergleichen lassen. Diese Lebensform bezeichnet man als Biofilm.

Falls du länger deine Zähne nicht putzt, kann in dieser Zeit bereits eine kleine „Stadt“ in deinem Mund entstehen. Besonders wenn du gerne zuckerhaltige Lebensmittel isst, errichten Mikroben gerne ihre „Gebäude“. Die Wände der Mikrobenstadt bestehen aus Stoffwechselprodukten, die die Bakterien nach der Nahrungsaufnahme ausscheiden. Zusammen mit dem Speichel und den Bakterienzellen bildet sich ein Belag (Plaque). Darin können Millionen bis Milliarden von Mikroorganismen enthalten sein.

Während der Biofilmbildung heften sich die Bakterien an eine Oberfläche und scheiden hauptsächlich Mehrfachzucker, aber auch Proteine und Lipide aus, die als extrazelluläre, polymere Substanzen (EPS) zusammengefasst werden. Die EPS bilden ein dreidimensionales Netzwerk, die stützende Matrix. Zudem dienen die EPS als Nährstoffquelle und Kommunikationsnetzwerk und bieten mechanische Stabilität. Nach einer anfänglichen Ausdehnung in die Breite entstehen mehrere Schichten bzw. Etagen - ähnlich einer Stadt.

In vielen Teilen unseres Körpers, wie z.B. dem Darm, der Vagina, den Ohren und der Nase können Mikroben als Biofilm siedeln, ohne dass sie schädlich für uns sind. Beispielsweise unterstützen probiotische Bakterien uns bei dem Verdauen der Nahrung und verhindern zudem, dass andere, schädliche Bakterien Fuß fassen können. Bei der Krankheit Mukoviszidose können sich allerdings Krankheitserreger (hier meist Pseudomonas aeruginosa) durchsetzen, in der Lunge Biofilme bilden und somit eine chronische Erkrankung auslösen.

Auch auf Steinen, Metalloberflächen, in Rohrleitungen, Toiletten, Seen, Flüssen, im Meer oder auf Gletschern gibt es Biofilme. Du kennst den schleimigen Belag aus dem lange nicht gespülten Kaffeebecher. Natürliche Biofilme können viele verschiedene Mikroorganismen enthalten. Solche „mikrobielle Matten“ bestehen aus mehreren, häufig unterschiedlich farbigen Schichten mit speziellen Funktionen. Die Abfallprodukte einer Schicht können z. B. als Nährstoffquelle einer anderen Schicht dienen. So können Cyanobakterien mittels Photosynthese in einer oberen Schicht Sauerstoff und Zucker produzieren, die heterotroph lebenden Organismen in niedrigeren Schichten der mikrobiellen Matten nutzen können.

Da die Biofilmmatrix sehr schwer zu analysieren ist, gilt sie als „dunkle Materie der Biologie“. In den letzten Jahren versuchen Wissenschaftler, Biofilme zu unserem Vorteil zu nutzen. In Klärwerken unterstützen Biofilme die Abwasserreinigung. Die Stoffwechseleigenschaften der im Biofilm lebenden Bakterien können als „katalytische Biofilme“ helfen, hochwertige Chemikalien zu produzieren, im Fall der Cyanobakterien sogar mit Hilfe von Sonnenenergie.

Zum Weiterlesen:

Szewzyk, Ulrich & Szewzyk, Regine (2003) Biofilme - die etwas andere Lebensweise. BIOspektrum. Heft 3, S. 253-255.

Flemming, Hans-Curt und Wingender, Jost (2012) Biofilme - Die Stärke der Gemeinsamkeit. BIOspektrum. Jahrgang 18, Heft 7, S. 714–716.

Hengge, Regine (2015) 3D-Architektur von Biofilmen - Bakterielle Megastädte. BIOspektrum, Jahrgang 21, Heft 5, S. 480–483.

Knut Drescher (2019) Bakterielle Multizellularität in Biofilmen. BIOspektrum. Jahrgang 25, Heft 3, S. 258-260

Störiko, Anja (2019) Gemeinsam stark: Bakterien in Biofilmen (Bericht zum VAAM-Forschungspreis 2019, Knut Drescher)

© Text und Abbildung: Mahir Bozan und Sonja Höhmann / VAAM, mahir.bozan[at]ufz.de, Nutzung gemäß CC 4.0