Wie viele Bakterien leben auf einem Sandkorn?

Die alte theologische Streitfrage, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden, ist nie befriedigend beantwortet worden (nur Christian Morgenstern hatte dazu einen schlüssigen Gedanken). Aber wie viele Bakterien ein Sandkorn besiedeln, hat man herausgefunden: Bis zu 100.000 pro Korn!

Wer gern mit großen Zahlen jongliert, lässt sich sicher von der Frage reizen, wie viele Mikroben eine Strandburg bewohnen oder auf den ungezählten Sandkörnern endloser, meerumspülter Badestrände sitzen… Übrigens hatte schon Antonie van Leeuwenhoek, der Entdecker der Bakterien, vor fast 350 Jahren herausgefunden, dass mehr als 100 Millionen dieser "Tierchen", wie er sie damals bezeichnete, zusammen gerade die Größe eines Sandkorns ausmachen würden. Doch welche Mikroben leben auf den Sandkörnchen, und wie können sie sich dort halten, wenn Wellen den sandigen Meeresgrund aufwühlen?
Sandkörner sind nicht rundum glatt geschliffen, sondern haben Risse und Vertiefungen. Darin drängen sich die Mikroben und sind vor Kollisionen mit anderen Sandkörnern geschützt, werden nicht vom wellenbewegten Meerwasser weggespült oder von hungrigen Einzellern abgegrast. Dabei geht es auf den besten Plätzen recht eng zu. Nur etwa 0,5 µm (tausendstel Millimeter) Abstand halten die Mikroben voneinander, gerade mal eine halbe Bakteriendicke. Aber sie sitzen nicht aufeinander, sondern teilen sich die besiedelbare Fläche.

Die Mikrobengemeinschaft ist bunt gemischt. Auf jedem der Sandkörner kommen Tausende Arten vor, überwiegend Bakterien, der geringere Anteil sind Archaeen. Dabei machen weniger als zwei Prozent der Arten mehr als die Hälfte aller Mikroben aus. Diese kulturelle Vielfalt hat einen enormen Vorteil: Fast jede denkbare Stoffwechselleistung ist vertreten, und die Mikrobenpopulation der Sandkörner hat zu den wechselnden Bedingungen des Ökosystems Meer immer eine passende "Antwort" parat. Sand wirkt wie ein gewaltiger Filter für eingespülte Stoffe.

Übrigens konnte man die Bevölkerung eines einzelnen Sandkorns nur mit genetischen Methoden untersuchen. Im Mikroskop sehen sich die meisten Arten zum Verwechseln ähnlich. Dazu isolierte man die gesamte DNA der Sandkornbewohner und vervielfältigte mit der PCR-Technik (Polymerase-Kettenreaktion) einen bestimmten Genomabschnitt, den alle Mikroorganismen enthalten. Die charakteristische DNA-Sequenz der 16S-RNA, ein Bestandteil der Ribosomen (die Synthesemaschinerie für Proteine), eignet sich besonders gut zur Zuordnung und Unterscheidung von Mikroben. So gelang es, auf den einzeln untersuchten Sandkörnern zwischen 3400 und 6000 verschiedene Arten zu entdecken.

Zum Weiterlesen:

C. Morgenstern, Gedichte: Scholastikerprobleme

D. Probandt, T. Eickhorst, R. Amann, K. Knittel (2017) Microbial life on a sand grain: from bulk sediment to single grains. The ISME Journal, 12, 623-633

© Text: Harald Engelhardt / VAAM, engelhar[at]biochem.mpg.de, Nutzung gemäß CC 4.0;
Abbildung: Besiedlung eines Sandkorns mit Mikroben (grün eingefäbt), © Probandt et al. (2017) gemäß CC 4.0,