Woher wissen Bakterien, wohin sie schwimmen sollen?

Die Orientierung von Bakterien ähnelt dem Topfschlagen-Spiel: Wie bei dieser Suche mit verbundenen Augen nähert sich die Zelle dem Ziel nur über Versuch oder Irrtum. Sie schafft es dorthin, indem sie sich weiterbewegt, wenn sie auf das Ziel zuhält („es wird immer wärmer“) – und zwischendrin die Richtung wahllos ändert.

Bakterien entscheiden, wohin sie schwimmen sollen, je nachdem ob es für sie förderlich oder schädlich ist, also hin zu Nahrung oder weg von Giften. Bakterien sind allerdings zu klein, um ihre nähere Umgebung mehrdimensional einschätzen zu können. Dafür bräuchten sie zwei Organe, die genügend weit voneinander entfernt sind, um ein Signal unterschiedlich wahrnehmen zu können, oder die Richtung des Signals bestimmen können – wie unsere Ohren oder Augen. Stattdessen bewerten Bakterien ein Signal, während sie sich bewegen. Wird das Signal stärker, schwimmen sie auf das Ziel zu, wird es schwächer, bewegen sie sich davon weg. Sie halten immer wieder an, drehen sich und schwimmen in eine neue, zufällig ausgewählte Richtung weiter. Wie lange sie in eine Richtung schwimmen, bestimmt ebenfalls das sich ändernde Signal. Wird es stärker, schwimmen sie lange in diese Richtung. Ändert sich die Stärke des Signals nicht oder wird es schwächer, folgen sie dieser Richtung nur kurz. Auf Dauer ergibt sich dadurch eine gerichtete Bewegung auf eine Quelle hin oder von ihr weg, ohne die Zielposition vorab zu kennen (s. Abbildung).

Diese gerichtete Bewegung wird als Taxis bezeichnet. Das zu- bzw. abnehmende Signal bildet einen Gradienten, dem Bakterien folgen. Je nach Signal spricht man von Phototaxis (Licht), Chemotaxis (gelöste Substanzen, auch Nahrung), Thermotaxis (Temperatur) oder sogar Magnetotaxis (wenn Bakterien Magnetfeldern folgen). Ob Bakterien geradeaus schwimmen oder ihre Richtung ändern, bestimmt ihr Flagellum, ein langer Zellfortsatz, der ähnlich wie eine Schiffsschraube funktioniert. Dreht er sich in eine Richtung, schwimmt die Zelle geradeaus, dreht er sich in die andere, schwimmt sie aber nicht etwa rückwärts, sondern dreht sich im Kreis. Dies erzeugt die beiden nötigen Bewegungsmuster für die oben beschriebene Fortbewegung. Um die Drehrichtung des Flagellums zu bestimmen, muss das Bakterium erstmal das externe Signal über Rezeptoren auf der Zelloberfläche wahrnehmen und in ein internes Signal übersetzen. Dieses beeinflusst dann direkt oder indirekt das Flagellum. Eine Entscheidung beruht dabei oft nicht nur auf einem einzelnen, externen Signal, sondern aus der Überlagerung mehrerer Informationen.

Bakterien sind nicht die einzigen Organismen, die abwechselnde Geradeaus-Bewegung und zufällige Richtungswechsel nutzen, um sich einer Signalquelle zu nähern. Motten und andere Insekten finden weit entfernte Partner, indem sie über mehrere Kilometer deren Geruch folgen. Und Kinder finden so bei einem Geburtstag die Süßigkeiten unter dem Topf.

© Text und Abbildung: Tobias Engl / VAAM, tengl[at]uni-mainz.de, Nutzung gemäß CC 4.0