Gibt es Raubmikroben?
Räuberische Lebewesen wie Löwen oder Haie gibt es auch in der Welt der Mikroorganismen. Die Konkurrenz um Nährstoffe ist hoch; daher haben sich einige Bakterien darauf spezialisiert, andere Organismen als Nahrungsquelle zu nutzen. Solche räuberischen Bakterien produzieren bestimmte Stoffe wie Enzyme und Antibiotika, um die Zellhülle ihrer Beute aufzubrechen und den Beuteorganismus in kleinere, für sie verfügbare Moleküle zu zersetzen. Dadurch kann das räuberische Bakterium die Bestandteile seiner Beute aufnehmen und sich davon ernähren.
Räuberisches Verhalten (Prädation) ist bei Bakterien sehr vielfältig. Einige leben auf einer anderen Art (epibiotisch), andere in einer anderen Art (endobiotisch). Und einige Bakterien jagen sogar als Gruppe. Vampirococcus gehört zu den Epibionten: Das räuberische Bakterium attackiert seine Beute von außen. Begegnet Vampirococcus einem Beuteorganismus, so haftet es an dessen Zelloberfläche. Von dort aus gibt das räuberische Bakterium Enzyme in das Innere seiner Beute ab, die sie zersetzen. Der Beuteorganismus stirbt, und das räuberische Bakterium kann die verdauten Bestandteile von der Zelloberfläche wie ein Vampir aufsaugen.
Einige Bdellovibrio-Arten greifen von innen an. Sie sondern Enzyme ab, die die Zellwand der Beute instabil und löchrig machen, und dringen so in seine Beute ein. Im Inneren ernähren sie sich vom Beuteorganismus und bilden Nachkommen. Schließlich platzt die Beute auf und gibt die Nachkommen des räuberischen Bakteriums frei.
Myxococcus xanthus schwärmt im „Rudel“ aus, um Beutebakterien zu finden. Das Bakterium kann sich auf Oberflächen gleitend fortbewegen. Bei Zellkontakt mit Beuteorganismen gibt M. xanthus bestimmte Enzyme und Stoffwechselprodukte ab und löst so die bakterielle Zellmembran der Beutezelle auf (Lyse). Die lysierten Zellen können dann von allen Bakterien der Gruppe aufgenommen und als Nährstoffquelle genutzt werden. Bei dieser Angriffsart ist die Zelldichte des räuberischen Bakteriums entscheidend, da die Jagd in einer größeren Gruppe eine höhere Erfolgschance verspricht. Anders als ein Wolfsrudel umkreist M. xanthus nicht seine Beute, sondern bewegt sich gezielt auf sie zu. Beutebakterien in seiner Nähe nimmt M. xanthus über bestimmte Rezeptoren wahr und richtet seine Bewegung darauf aus.
Für viele Jagdstrategien müssen sich die räuberischen Bakterien aktiv auf ihre Beute zubewegen. Einige Bakterien nutzen dabei fädige, aus Proteinen bestehende Strukturen (Flagellen). Andere gleiten auf Oberflächen über einen von ihnen abgesonderten Film oder mithilfe von Pili, die am Untergrund haften und das Bakterium nach vorne ziehen. Ein räuberisches Bakterium „wittert“ seine Beute wie ein Raubtier und bewegt sich dann in dessen Richtung.
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© Text und Abbildung Kirstin Arend / VAAM, Kirstin.arend[at]rub.de ; Nutzung gemäß CC 4.0