Wie wehren sich Bakterien gegen Viren?
Gegen Krankheitserreger haben wir Menschen effektive Verteidigungsstrategien entwickelt, die Infektionen vorbeugen und bekämpfen. Unsere Immunantwort ist unglaublich kompliziert und umfasst ganze Organe sowie verschiedene Zelltypen. Bakterien sind nicht annähernd so komplex, doch auch sie verfügen über ein effektives Immunsystem.
Genau wie wir Menschen erkranken Bakterien an Infektionen, verursacht durch Viren (Bakteriophagen). Dagegen haben sie eine Vielzahl effektiver Abwehrmechanismen entwickelt. Idealerweise verhindern diese, dass ein Virus überhaupt in die Mikrobe eindringen kann. Andockstationen für Viren können beispielsweise so verändert sein, dass sie nicht mehr als solche funktionieren. Eine andere Möglichkeit ist es, den Raum zwischen Zellhülle und Zellinnerem zu verbreitern. So kann die Injektionskanüle, die Viren nutzen, um ihre genetischen Informationen in die Zelle zu schleusen, diesen Zwischenraum nicht mehr überbrücken. Manche Bakterien wie Escherichia coli können sich in eine Art Rüstung hüllen oder Netze um sich herum weben, in denen sich die Phagen dann verheddern.
Durchbricht ein Virus diese erste Verteidigungslinie und kann sein Erbgut in das Bakterium injizieren, dann besitzen Mikroben noch die Fähigkeit, Fremd-DNA von ihrer eigenen zu unterscheiden und mit einer Genschere (Restriktionsenzym) in kleine Stücke zu zerhäckseln. Werden die dabei entstehenden Fragmente in das Erbgut des Bakteriums eingebaut, kann es sich bei einer erneuten Infektion an das Virus erinnern und es noch effektiver bekämpfen.
Dabei kommt das CRISPR/Cas-System zum Einsatz, das in den letzten Jahren zu Berühmtheit gelangt ist. Auch hier kommt wieder eine Genschere zum Einsatz. Ziel ist diesmal keine feste DNA-Basenfolge, wie bei klassischen Restriktionsenzymen, sondern ein Stückchen Erbgut des Virus. CRISPR/Cas lässt sich also flexibel genetisch steuern. Diese Eigenschaft ermöglicht auch den Einsatz als molekulares Werkzeug zur Manipulation von Genen jeder Art, selbst derer des Menschen. So hat sich CRISPR/Cas zu einer neuen Schlüsseltechnologie zur Bekämpfung von Krankheiten entwickelt. Es schlägt die zweite Sternstunde des bakteriellen Immunsystems, nachdem die Restriktionsenzyme vor einem halben Jahrhundert das Zeitalter der modernen Molekularbiologie eingeläutet haben.
Zudem offenbart die Entdeckung von CRISPR/Cas eine überraschende Parallele zwischen menschlichem und mikrobiellem Immunsystem: Beide ruhen auf zwei Säulen, der angeborenen (generellen) Immunität und der angepassten (adaptiven) Immunität.
Im Mikrokosmos gibt es zusätzliche Mechanismen: Beispielsweise können Bakterien gezielt ihren Zelltod einleiten, wenn der Kampf gegen die Virusinfektion aussichtslos erscheint. Auf den ersten Blick mag solch ein Selbstmord merkwürdig anmuten. Doch Bakterien sind niemals wirklich alleine, sondern leben im Verbund mit anderen, das heißt, nur so kann die schnelle Ausbreitung des Phagen innerhalb einer Population noch verhindert werden. Diese Strategie ähnelt den Quarantänemaßnahmen, mit der auch wir Menschen versuchen, Epidemien zu verhindern und einzudämmen.
Wer an diesem Punkt glaubt, wir hätten nun alle Geheimnisse des bakteriellen Immunsystems aufgedeckt, der irrt gewaltig. Erst 2018 entdeckte ein Team um den israelischen Forscher Rotem Sorek zehn noch völlig unbekannte Immunsysteme, deren Mechanismus es nun zu entschlüsseln gilt.
© Text: Jürgen Lassak / VAAM, juergen.lassak[at]lmu.de, Nutzung gemäß CC 4.0
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