Gibt es Datenklau bei Bakterien?
Informationen sind auch bei Bakterien ein hohes Gut. Mikroorganismen verschlüsseln allerdings nicht in Bits und Bytes, sondern schreiben ihre Daten direkt ins Erbgut. Der genetische Datensatz nahe verwandter Bakterien variiert mitunter stark, und je nach Informationsgehalt ist das lebensentscheidend. Das macht natürlich skrupellos: Auch im Mikrokosmos werden Daten geklaut.
Die Erbinformation selbst nahe verwandter Bakterien kann sehr unterschiedlich sein. Oft ist der gemeinsame genetische Bauplan einer einzigen Art kleiner als 40% (wir Menschen ähneln uns genetisch zu über 99%). Der bakterielle Bauplan beinhaltet viele Informationen, die nur unter bestimmten Bedingungen einen Vorteil bieten. Ein Beispiel hierfür sind Antibiotikaresistenzen, die für den Mikroorganismus erst dann relevant werden, wenn er diesen todbringenden Molekülen ausgesetzt ist. Der Austausch solcher genetischen Daten ist also wichtig. Neue Gene können friedlich erworben werden, beispielsweise durch bakteriellen Sex. Mikroben schrecken allerdings auch vor Gewalt nicht zurück. Beispielhaft dafür ist das Verhalten des Erregers der Durchfallerkrankung Cholera: Vibrio cholerae besiedelt bevorzugt den Panzer von Krebstieren. Das darin enthaltene Chitin ist ein ausgezeichneter Nährstoff. Gleichzeitig signalisiert das Chitin aber auch die Gegenwart anderer Bakterien mit möglicherweise interessantem Erbgut. Um sich dessen zu bemächtigen, rammt Vibrio cholerae einen Nanospeer in den Körper eines potenziellen Opferbakteriums und schlitzt es auf. Die dadurch freigesetzte DNA verleibt sich Vibrio cholerae ein und ergänzt so den eigenen Bauplan um neue Informationen. Zusätzlich dient ihm die DNA als Nahrung und als Material für den Bau „mikrobieller Städte“ – den Biofilmen.
Vibrio cholerae begeht solchen Raubmord vornehmlich an Artgenossen. Auf den ersten Blick mag das verwundern, da sich die Bakterienart durch dieses Verhalten selbst zu dezimieren scheint. Tatsächlich aber wird gezielt die ungehinderte Vermehrung bestimmter Stammesmitglieder begünstigt, die sich anhand gemeinsamer molekularer Merkmale erkennen und dadurch nicht gegenseitig umbringen. Der Datenklau findet vorzugsweise an denjenigen Vibrio cholerae statt, deren Bauplan sich vom eigenen besonders stark unterscheidet. Zudem lassen sich Gene von Artgenossen sehr einfach dekodieren, was die Ausprägung neuer potenziell überlebensnotwendiger Eigenschaften erleichtert.
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© Text: Jürgen Lassak / VAAM, juergen.lassak[at]lmu.de, Nutzung gemäß CC 4.0
© Abbildung: Christine Neupert, Nutzung gemäß CC 4.0